In diesem Text wird es um weitere Beispiele gehen, die ich als Belege dafür werte, dass dem Biologen Clemens Arvay die medizinische Kompetenz fehlt, um ein Buch wie „Corona Impfstoffe – Rettung oder Risiko“ so zu schreiben, dass die Aussagen hilfreich sind. 

Arvay ist besorgt über die möglichen Risiken der neuen Impfstoffe. Ein Risiko, das ihn umtreibt, sind Tumorerkrankungen.

„Eine Verkürzung der präklinischen Phase ist aber vor allem aus toxikologischer Sicht problematisch. Zu klassischen Fragestellungen der Toxikologie gehört auch, ob ein Impfstoff Schäden an Embryonen verursachen oder das Krebsrisiko erhöhen kann. Die Frage, ob Erbgut durch einen Impfstoff oder ein Arzneimittel potenziell geschädigt wird, ist ebenfalls Teil der Toxikologie.“

Dabei konstruiert er ein Risikoszenario, dass sich ungefähr so skizzieren lässt: Krebs entsteht durch genetische Veränderungen der Zelle. Viele dieser Veränderungen finden in sogenannten Tumorsuppressorgenen statt, die für Proteine codieren, die in der Zelle eine Art Sicherheitsnetz vor Entartung bilden. Außerdem gibt es Gene, die die Entstehung von Krebs fördern können, sogenannte Onkogene, diese können ebenfalls durch Mutationen entstehen. Einige der neuen Impfstoffe (die Vektorimpfstoffe) könnten theoretisch, unter bestimmten Umständen, eventuell in das Genom der Zelle integriert werden und dort zufällig an eine Stelle gelangen, an der Tumorsuppressorgene oder potentielle Onkogene liegen, die dann nicht mehr funktionieren. bzw aktiviert werden, wodurch die Zelle zu einer Tumorzelle würde.

„Eine Insertion könnte beispielsweise zu einem potenziell höheren Krebsrisiko führen, falls es durch die Insertion zur Aktivierung von Onkogenen kommt. Das sind Genabschnitte, die bei übermäßiger Aktivierung die normale Wachstumsrate unserer Zellen in Richtung Tumorwachstum entarten lassen können. Außerdem könnte es zur Deaktivierung antikarzinogener Gensequenzen kommen, welche die Baupläne unserer Anti-Krebs-Proteine beinhalten. Diese benötigt unser Immunsystem bei der täglichen Abwehr potenzieller Krebszellen.“

Menschliche Körperzellen

Dieses Szenario kann man von verschiedenen Seiten betrachten. Zum einen könnte man sich ins Gedächtnis rufen, dass täglich Tumorzellen im Körper entstehen, die vom Immunsystem unschädlich gemacht werden. Zellen, die entarten, sind für unsere Körper Normalität. Arvay weiß das, er schreibt davon. Man könnte sich auch klar machen, dass die Zellen, in denen das Genom des Vektorimpfstoffes integriert wird, dauerhaft das Impfprotein auf der Oberfläche präsentieren, wenn das Gen aktiv ist und damit vom Immunsystem zerstört werden, egal ob sie entartet sind oder nicht. Man könnte sich auch klar machen, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil unseres Genoms bereits heute aus Genen besteht, die durch Viren dort hinterlassen wurden. Ob und welchen Zweck diese Genabschnitte haben, wissen wir heute noch nicht, es ist auf jeden Fall faszinierend.

„Aber bereits ein betroffener Zellkern kann das Tumorrisiko eines Menschen erhöhen, wenn antikarzinogene Abschnitte deaktiviert oder Onkogene aktiviert werden.“

Diese Aussage ist theoretisch richtig. Aber im komplexen biologischen Kontext betrachtet, ist sie praktisch falsch. Eine Zelle ergibt praktisch keinen Unterschied für die Gefahr (zu unterscheiden vom Risiko, welches marginal steigt), dass eine Tumorerkrankung entsteht. Das wird bereits klar, wenn man sich vor Augen führt, wie viele Zellen entarten müssen, bevor durch bekannte Risikofaktoren eine Tumorerkrankung entsteht:

Neben Rauchen und Übergewicht zählen dazu:

  • Infektionen
  • genetische Faktoren
  • erhöhter Alkoholgenuss
  • Expositionen am Arbeitsplatz
  • Einflüsse aus der Umwelt, wie
    • Sonneneinstrahlung
    • Radon in Innenräumen
    • Passivrauchen.

Da man erbliche (genetische) Faktoren selbst nicht verändern kann, bleibt zur Reduktion des Krebsrisikos nur eine Verhaltensänderung. Dabei kann man durch nicht Rauchen, Normalgewicht und Verzicht auf Alkohol das Risiko deutlich reduzieren. Wichtig in der Liste für unsere Diskussion ist der Punkt „Infektion“. Es gibt einige Viren von denen bekannt ist, dass sie das Risiko, an Krebs zu erkranken, erhöhen. Humane Papillomaviren (HPV) gehören dazu. aber auch das Epstein-Barr-Virus. Die Impfung gegen HPV hat bereits zu einer gut nachgewiesenen Reduktion von Krebsvorstufen geführt.

Von Adenoviren ist jedoch nicht bekannt, dass sie das Risiko einer Krebserkrankung erhöhen. Insofern ist das Risikoszenario, welches Arvay hier konstruiert, auf so vielen Ebenen unplausibel, dass man es in der Form, wie er darauf eingeht, als unseriöse Spekulation einschätzen kann.

Sage ich, dass es garantiert kein Risiko gibt, dass durch die neuen Vektorimpfstoffe bei einzelnen Menschen Krebs entsteht? Auf keinen Fall. Ich sage, dass dieses Risiko so gering ist, dass es fahrlässig wäre, aus diesem Grund die Zulassung der Impfstoffe zu verzögern. Denn das Risiko. welchem wir durch Covid-19 ausgesetzt sind, kennen wir. Das Risiko welches durch den Aufenthalt in Innenräumen (Radon) aufgrund der Kontaktbeschränkungen entsteht sowie durch die von vielen Menschen beschriebene Gewichtszunahme dürfte deutlich über dem theoretischen Risiko durch die Impfstoffe liegen. So gesehen, ist auch die Impfung gegen Covid-19 eine Impfung gegen Krebs, weil wir dann endlich alle wieder raus können um uns mehr zu bewegen.

Die Ausführungen von Arvay zeigen, dass er nur ein rudimentäres Verständnis von den Faktoren hat, die die Entstehung von Krebs beeinflussen. Das hat er mit mir gemeinsam, nur dass mein Verständnis ausreicht, um die Fragen zu stellen, die sein Risikoluftschloss verschwinden lassen. Arvay zeigt wieder und wieder, dass er nicht weiß, wovon er spricht. Er stellte die teleskopierte Entwicklung von Impfstoffen der traditionellen Entwicklung von Impfstoffen gegenüber und schreibt:

„Die Folgen möglicher Insertionen, allen voran das potenzielle Tumorrisiko, können in teleskopierten Sicherheitstests unmöglich festgestellt werden.“

Die Entwicklung von Tumorerkrankungen dauert Jahrzehnte. Keine Impfstoffstudie dauert so lange. Das heißt, auch mit einer traditionellen Entwicklung der SARS-Cov-2 Impfstoffe könnte man ein mögliches Tumorrisiko nicht ausschließen. Bei anderen (für Menschen von der StIKo empfohlenen) Impfstoffen ist keiner bekannt, der das Krebsrisiko erhöhen würde. Und da einmalige oder selten auftretende Noxen (schädliche Einflüsse) in der Regel keinen wesentlichen Einfluss auf das Krebsrisiko haben, ist auch aus diesem Grund bei Vektorimpfstoffen nicht hiervon auszugehen.

Ein Zitat an dem man sehr gut sehen kann, wie Arvay durch viele wertende Worte, die wenig Inhalt beschreiben, ein Gefühl von Unsicherheit schafft, entnehme ich aus dem Teil mit der der HIV-Studie, die im ersten Teil bereits erwähnt wurde (da ich das E-Book lese, habe ich gemerkt, dass Seitenangaben leider nicht brauchbar sind):

„Adenoviren des Typs 5 gehören zu den häufigsten Viren, denen unsere Spezies ausgesetzt ist. 40 bis 45 Prozent der Menschen weisen eine vorbestehende Immunität gegen Adenoviren dieses Typs auf. Diese Zusammenhänge müssen noch genauer erforscht werden, dürften aber über sehr komplexe immunbiologische Mechanismen und Wechselwirkungen erklärbar sein, die niemand im Vorfeld voraussehen kann. Genau aus diesem Grund verlangt das Vorsorgeprinzip höchste Zurückhaltung bei der Zulassung von Impfstoffen, die mit derartigen Fragezeichen versehen sind.“

Adenovirus Typ 5. Alter Bekannter.

Über die Viren, denen wir am häufigsten ausgesetzt sind, gegen die das US-Militär eine Impfung hat, die seit Jahrzehnten gezielt als Vektoren modifiziert werden, müssen also die „Zusammenhänge (…) noch genauer erforscht werden“? Sie „dürften“ aber „über sehr komplexe immunbiologische Mechanismen und Wechselwirkungen erklärbar sein“. Es mag an mir und mangelndem Verständnis liegen, aber für mich hat dieser Satz keinen Informationswert. Viele Effekte kann „niemand im Vorfeld voraussehen“. Darum üben sich WissenschaftlerInnen auch nicht im Hellsehen, sondern in Prognosen unterschiedlicher Plausibilität und unterschiedlichen Risikos. Wir gehen immer Risiken ein und müssen diese abschätzen. Die Prognose für die SARS-CoV-2 Impfstoffe war, dass sie sehr wahrscheinlich um Größenordnungen geringere Risiken bergen als eine Infektionskrankheit mit Covid-19 und dabei einen immensen Nutzen haben. Diese Prognosen haben sich bisher weitgehend bewahrheitet.

Ein weiterer Hinweis auf eine nicht ausreichende Qualifikation Arvays ist, dass Arvay die durch den Impfstoff ausgelöste und gewünschte Impfreaktion konsequent als Impfnebenwirkung bezeichnet und sie in diesem Zusammenhang darstellt. Zusätzlich zitiert er auch hier irreführend: 

»Wichtige Fragen bleiben aber offen«, schrieben die Mediziner Eric Rubin und Dan Longo im (…) New England Journal of  Medicine.83 »(…) 20.000 Probanden erhielten den Impfstoff. Werden sich unerwartete Sicherheitsprobleme ergeben, wenn die Anzahl der Geimpften auf Millionen oder möglicherweise Milliarden Menschen anwächst? Werden sich nach längeren Beobachtungszeiträumen noch Nebenwirkungen zeigen?«

Das sind Fragen, die sich bei der Entwicklung und Zulassung von jedem neuen Medikament stellen.Sie sind heute das Grundrauschen medizinischer Forschung. Die zitierten Autoren selbst äußern sich denn auch in dem Artikel positiv über den Impfstoff. Sie schreiben im zitierten Artikel, die Entwicklung des Impfstoff in dieser kurzen Zeit sei ein ‚Triumph‘.

Ein Beispiel an dem man sieht, wie unbedacht Arvay Informationen in seinem Buch als für seinen Kontext relevanten Fakt übernimmt. Wie schnell sich zudem die Informationslage aktuell verändert, so dass selbst ein gut recherchiertes Buch bereits überholt wäre, zeigt sich an folgendem Zitat.

„Dass bereits nach den ersten Anwendungen in Großbritannien klar wurde, dass beispielsweise Menschen mit allergischer Krankengeschichte den Impfstoff von BioNTech lieber meiden sollten, ist inzwischen allgemein bekannt und braucht hier nicht mehr näher ausgeführt zu werden.“

Es gab zu Beginn der Impfkampagnen ein paar Tage, in denen die Frage bestand, ob die mRNA-Impfstoffe ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines allergischen Schocks haben könnten. Ich weiß das unter anderem deshalb, weil ich zur selben Zeit KollegInnen die Impfung verabreichte und sie über das Risiko aufklärte und dabei auf die aktuelle Nachrichtenlage verwies. Wie sind wir damit umgegangen? Es lagen Notfallmedikamente bereit und wir haben uns nochmal die hausinterne Notrufnummer ins Gedächtnis gerufen. Mittlerweile ist jedoch „allgemein bekannt“, dass die mRNA-Impfstoffe kein erhöhtes Risiko für einen allergischen Schock haben und selbst „Allergiker“ geimpft werden sollen, solange sie nicht ausdrücklich gegen einen der Inhaltsstoffe allergisch sind. In der Fachwelt war dieses Ergebnis zum damaligen Zeitpunkt erwartet worden. Überprüft wurde diese Annahme selbstverständlich trotzdem. Vorsorgeprinzip und so.

Arvay versucht in seinem Buch jegliche Erfahrungen, die bereits mit mRNA-Impfstoffen gemacht wurden, als für die SARS-CoV-2 Impfstoffe irrelevant zu deklarieren. So scheint er nicht anzuerkennen, dass Erkenntnisse aus der Krebstherapie mit mRNA-Impfstoffen bei der Entwicklung hilfreich gewesen sein könnten. Das begründet er unter anderem mit diesem Satz:

„In der Onkologie werden Mechanismen aktiviert, die das Wachstum von Tumorzellen hemmen sollen. In der Infektiologie sollen Antikörper und T-Zellen-Immunität gegen Viren oder andere Erreger gebildet werden.“

Selbst wenn diese Aussage korrekt wäre, sind viele Informationen über mRNA-Impfstoffe aus der Onkologie enorm hilfreich. Zur Verträglichkeit, Nebenwirkungen, Allergien, Langzeitwirkungen. Dabei ist ein Vorteil, dass in der Onkologie seriöse Therapien in der Regel im Rahmen von Studienprotokollen durchgeführt werden, so dass Effekte, negative und positive, systematisch erfasst werden. Arvays Aussage ist aber durchaus nicht korrekt: Auch in der „Krebstherapie“ mit mRNA ist das Ziel, dass das Immunsystem auf bestimmte Oberflächenproteine reagiert. Ob die auf der Oberfläche von Viren, Bakterien oder Körperzellen liegen, ist dabei erstmal nicht relevant.

Gibt es Unterschiede? Klar! Aber das, was Arvay beschreibt ist eben keiner, ein Blick in die Wikipedia hätte dazu ausgereicht. Aber erst, wenn man genug weiß, um zu wissen, was man nicht weiß, kann man so etwas prüfen.


Autor: Dr. med. Jan Oude-Aost


Beitragsbild von hakan german auf Pixabay
Bild Menschliche Körperzellen: ZEISS Microscopy from Germany, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons
Bild Adenovirus Typ 5 von José R Valverde auf Pixabay

 

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