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„Impfen Pro & Contra:
Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung“ von Dr. Martin Hirte
Eine Analyse

 

Zehnter Teil -“Pharmaindustrie und Medizinbetrieb”

 

Hirte folgt seinem Konzept aus den vorangegangen Kapiteln und versucht uns davon zu überzeugen, dass die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) unseriös seien. Neu in diesem Kapitel ist, dass er sich eine konkrete Studie des Robert Koch Instituts (RKI) vornimmt. Doch vorher wird erneut Bekanntes und im Kontext der STIKO-Empfehlungen nur wenig Relevantes geschildert.

„Auch medizinische Fachzeitschriften sind immer wieder Opfer und Mittäter von Wissenschaftsmanipulation. An sich verfügen sie über gewiefte Experten, die die eingereichten Manuskripte kritisch begutachten könnten. Die meisten wissenschaftlichen Zeitschriften beziehen jedoch einen großen Teil ihres Einkommens durch Werbung oder pharmafinanzierte Sonderdrucke. So werden manche Fachzeitschriften zum »verlängerten Arm der Marketingabteilungen pharmazeutischer Unternehmen« (Smith 2005).“ (Seite 42)

Interessant finde ich die Nutzung der wertenden Begriffe „Täter“ und „Opfer“. Hirte scheint weiter das Bild von bewusst bösartigem Verhalten auf Seiten „der Wissenschaft“ zeichnen zu wollen (1). Das passt zu der Rhetorik, die er in den vorangegangenen Kapiteln genutzt hat. Hirte weist erneut auf relevante Probleme in der medizinischen Forschung hin, Probleme die nicht auf die Pharmaindustrie begrenzt sind, sondern auch in der Alternativmedizin Folgen haben. Das Paper von Smith ist durchaus lesenswert. Doch auch für diesen Absatz erklärt Hirte nicht, was das mit Impfungen und der STIKO zu tun haben soll. Er bleibt vage und erzeugt ein Gefühl von Misstrauen, welches Fakten und Argumenten schwerer zugänglich ist.

Der nächste Absatz ist ein weiteres Beispiel für die mangelnde Recherche Hirtes oder ein bewusstes Weglassen von Informationen.

„Als gute Adresse für Sponsoring hat sich das Bundesgesundheitsministerium erwiesen: Mit 44,6 Millionen Euro sammelte diese Behörde in der Zeit von August 2003 bis Ende 2004 80 Prozent der privaten Sponsoring-Leistungen für die Bundesverwaltung ein (Hengst 2007).“ (Seite 44)

Bei der Quelle handelt es sich um einen Spiegel Artikel zum Sponsoring von Bundesministerien durch private Unternehmen. In einer Tabelle zum Artikel ist die von Hirte zitierte Zahl zu finden. Ein Zusammenhang mit Impfungen wird allerdings in dem Artikel überhaupt nicht erwähnt.

Eine kurze Recherche auf der Seite des Ministeriums zeigt (PDF), dass das mit Abstand meiste Geld von Sponsoren an die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung ging. Viele der aufgeführten Unternehmen haben mit Impfungen nichts zu tun, die Mehrzahl nicht mal etwas mit Arzneimitteln. Die Daten stammen aus den Jahren 2013/2014. Damit waren sie spätestens für eine Neuauflage von Hirtes Buch 2015 verfügbar. In der Ausgabe 2018 nutzt Hirte die Zahlen von 2013/2014 und die Aussage wurde verändert und konkretisiert. Darin kritisiert Hirte, durch Sponsoring ermöglichte Plakataktionen und den Eindruck der Einflussnahme, der dadurch entstehen könne.

Ich bin bereit Hirte zuzugestehen, dass die Produktion der Neuauflage zum Zeitpunkt, an dem die Aufstellung veröffentlicht wurde, bereits abgeschlossen war und deswegen keine Beachtung fanden. Es ist auch möglich, dass eine Anfrage beim Ministerium keine Antwort gebracht hätte, weil die Sponsoring Zahlen erst seit wenigen Jahren veröffentlicht werden.

„Auch das Berliner Robert-Koch-Institut, das dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt ist und für Infektionskrankheiten und Impfungen zuständig ist, bekommt Gelder von der Pharmaindustrie. Die TOKEN-Studie, mit der der Verdacht geklärt werden sollte, ob der plötzliche Kindstod mit Impfungen zu tun hat, wurde von den betroffenen Impfstoffherstellern mit 2,5 Millionen Euro mitfinanziert. Sie erkauften sich damit die Gegenleistung, dass sie »unverzüglich über relevante Erkenntnisse oder Bewertungen unterrichtet« werden und vor Veröffentlichung der Studie »Gelegenheit zur wissenschaftlichen Stellungnahme zu den zur Publikation vorgesehenen Texten erhalten« (Ehgartner 2011). Das bedeutet Mitsprache bei der Auswertung, Interpretation und Veröffentlichung äußerst sensibler Daten.“ (Seite 44)

Ganz allgemein halte ich es für verständlich und sinnvoll, dass die Unternehmen die Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Wenn das RKI zu einem falschen Schluss kommt, weil es Informationen nicht hat, die den Unternehmen bekannt sind, kann das Unternehmen dies richtigstellen. Vielleicht hat Ehgartner die Befürchtung, die Unternehmen könnten die Ergebnisse verfälschen. Das würde aber entweder kriminelle Energie auf Seiten der Unternehmer erfordern oder Inkompetenz beim RKI.

Bei der TOKEN-Studie handelte es sich um die Untersuchung einer speziellen Impfstoffvariante: der Sechsfachimpfstoffe. Diese waren in den Verdacht gestanden, das Risiko für den Plötzlichen Kindstod zu erhöhen. Mittlerweile ist dieser Verdacht ausgeräumt. Die TOKEN-Studie hatte die Aufgabe, zu klären, ob dieser Zusammenhang besteht (2). Hirte zitiert hier einen Blogartikel des Journalisten Bert Ehgartner. Ich konnte keine weitere Quelle finden, die dessen Aussagen stützen. Das RKI widerspricht den Aussagen. Personen, die die Studie wissenschaftlich begleitet hatten, sind öffentlich einsehbar. Für mich macht es den Eindruck, als hätte das RKI alles realistisch Mögliche getan, um die Studie und deren Ergebnisse so transparent wie möglich zu machen. Eines der größten Probleme der Studie war, aussagekräftige Daten zu erheben und diese zu interpretieren. Von Interesse in dieser Studie waren Daten von Kindern, die am Plötzlichen Kindstod verstorben waren. Um diese Daten zu erhalten, mussten die Eltern der verstorbenen Kinder kontaktiert und um Einverständnis für die Daten gebeten werden. Die Empathiebegabten der Leserinnen und Leser mögen sich kurz zurücklehnen und tief durchatmen bei der Vorstellung trauernder Eltern, die um Daten für eine Studie gebeten werden. Viele Eltern lehnten eine Teilnahme ab oder reagierten nicht. Eltern, die von einem Zusammenhang mit Impfungen beim Tod ihres Kindes ausgingen, stimmten jedoch mit größerer Wahrscheinlichkeit zu als Eltern, die keinen solchen Zusammenhang annahmen. Wer sich ein wenig mit Statistik auskennt, sieht das daraus entstehende Problem sofort. Ehgartner macht sich seine eigenen Zahlen, und schiebt die Schwierigkeiten der Datenerhebung auf übertriebenen Datenschutz. Der Blogartikel zeugt von wenig Sachverstand, einem Mangel an Empathie und stark ausgeprägter Phantasie.

“Meine vorrangigen Kritikpunkte betrafen zum einen die Blödheit, sich diese Studie ausgerechnet von den Herstellern der zu untersuchenden Impfstoffe bezahlen zu lassen. Für einen Sponsor-Beitrag von 2,5 Millionen Euro erkauften sich die Firmen damit laut Vertrag das Recht, „unverzüglich über relevante Erkenntnisse oder Bewertungen unterrichtet zu werden“. Weiters wurde ihnen das Recht zugestanden, dass sie vor der Veröffentlichung der Resultate „Gelegenheit zur wissenschaftlichen Stellungnahme zu den zur Publikation vorgesehenen Texten erhalten“. (Ehgartner)

Darauf aufbauend, unterstellt Hirte dem Hersteller, bereits in den Zulassungsstudien Daten gefälscht zu haben.

„Nach dem Grundsatz »Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast« muss auch immer mit der Manipulation der Rohdaten gerechnet werden. In der Zulassungsstudie des inzwischen vom Markt genommenen Sechsfachimpfstoffs Hexavac konnte man beispielsweise nachvollziehen, dass mehrere Atemstillstände, von denen sich einer sogar am Tag der Impfung ereignet hatte, nicht als Impfnebenwirkung gewertet wurden. Von 247 schwerwiegenden »unerwünschten Ereignissen« beurteilten die Prüfärzte insgesamt nur fünf als impfbezogen (Aventis 2000).“ (Seite 46)

Leider ist die Quelle („Hexavac Produktmonographie 2000“) für mich nicht einsehbar, darum fehlen wichtige Informationen, um diese Aussage einordnen zu können. Doch die europäische Zulassungsbehörde (EMA) hält eine Zusammenfassung (PDF) bereit, in der einige Zahlen nachzulesen sind. Die Nachbeobachtungszeit für erwartete Nebenwirkungen betrug einen Monat +(3) nach der Impfung. Bei 4000 Kindern sind statistisch in dieser Zeit bestimmte Symptome zu erwarten, auch ohne Impfung. Kinder werden krank, bei 4000 Kindern werden viele Kinder krank. Zur Zulassung interessiert die Frage, ob mehr Kinder, als zu erwarten wäre, aufgrund der Impfung schwer krank werden. Ich nehme das dramatischste Beispiel. Tragischerweise verstarben einige Kinder während der Studiendauer am plötzlichen Kindstod. Eines davon in Deutschland. In Deutschland waren 1.700 Kinder in die Studie eingeschlossen. Das ist genau die Anzahl von Kindern, in der statistisch eines am plötzlichen Kindstod (SIDS) stirbt. Gleichzeitig wurde untersucht, ob es weitere Risikofaktoren gab, die einen SIDS wahrscheinlicher machen. Die Kinder waren oft in dem Alter, in dem SIDS besonders wahrscheinlich ist und oft lagen sie so, dass das Risiko erhöht war. Wenn es keine Hinweise dafür gibt, dass der Impfstoff ursächlich für einen SIDS ist und die Rate an SIDS in der Studie genauso hoch ist, wie statistisch zu erwarten, wirkt das für mich plausibel und nicht, als sei etwas unter den Teppich gekehrt worden.

Gleiches gilt für die anderen schweren Nebenwirkungen (dazu gehört zum Beispiel ungewöhnlich langes Schreien oder eine Phase von ausgeprägter Bewegungsarmut des Kindes, jeweils ohne bleibende Folgen).

Auch die wiederholte Behauptung von Hirte, Impfstoffe würden nicht auf Nebenwirkungen überprüft, wenn sie auf dem Markt sind, lässt sich mit dem Dokument der EMA widerlegen:

„A Post Marketing survey was started in 1998 in Sweden in order to assess the occurrence of Hypertonic Hyperresponsive Episodes (HHE) following administration of two doses of Pentavac in infants at 3 and 5 months of age.“

„Since the Marketing Authorisation was granted, new safety data have been received which led to changes in the product information. These concerned the following adverse reactions, all reported very rarely: convulsions, encephalitis/ encephalopathy, Guilain Barré syndrome, neuritis, allergic reactions and angioedema; thrombocytopenia and purpura; abdominal pain, meteorism and nausea; dyspnoea.“

Nach der Zulassung wurden weitere mögliche Nebenwirkungen in die Produktinformation aufgenommen. Hirte hat Recht, wenn er sagt, dass Zulassungsstudien zu klein sind, um sehr seltene Ereignisse zu erfassen. Wenn eine Nebenwirkung bei einem von 10.000 Menschen auftritt, in der Zulassungsstudie aber nur 5.000 eingeschlossen sind, kann es sein, dass eine so seltene Nebenwirkung übersehen wird. Darum gibt es nach der Markteinführung weitere Beobachtungen und Erfassung von Nebenwirkungen. Die Erfassung ist so geregelt, dass es eher zu falsch positiven Ergebnissen kommt. Das System ist sicher noch nicht perfekt und es muss weiter daran gearbeitet werden. Am besten wäre, ALLE Daten über PatientInnen könnten immer ausgewertet werden. Das gerät aber in Konflikt mit dem Datenschutz und wird sicher noch einige Zeit auf sich warten lassen. Bis dahin beschäftige ich mich weiter mit Herrn Hirte.


(1) Dazu sei auf den Wunsch von Schmidt-Troschke im Rahmen der Podiumsdiskussion verwiesen, die STIKO und das RKI mögen doch auf Impfgegner zugehen und weniger polemisch sein.

(2) Damit steht die Studie im Widerspruch zu Behauptungen Hirtes in vorangegangenen Kapiteln, das RKI würde sich nicht für die Sicherheit von Impfstoffen interessieren und Impfstoffe würden trotz mangelnder Sicherheit auf dem Markt belassen.

(3) So ganz schlau bin ich aus den Angaben nicht geworden, weil z. T. auch über Ereignisse berichtet wird, die später stattgefunden haben.

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