Wir wissen es noch gut – Anlass für das Entstehen dieser Seite hier war im Jahre 2018 der Film „Eingeimpft“ von Regisseur David Sieveking. Noch heute erinnert der Name der Seite an den Film, der zum Symbol unreflektierten Umgangs mit einem wichtigen, komplexen und sensiblen Thema geworden ist.

Gerade im Vergleich mit den doch eher platten, eigentlich doch nur die eigene Fangemeinde ansprechenden Filmen von Andrew Wakefield (VAXXED 1 und 2) und Natalie Beer (A Man Made Epidemic – Die verschwiegene Wahrheit) sahen wir in diesem so freundlich daherkommenden, in ein Familien-Narrativ gekleideten Kinostück von Sieveking eine große Gefahr: dass er eher als die anderen genannten Werke ein breiteres Publikum anspricht und – ohne sich direkt als impfgegnerisch zu positionieren – viele zögernde, unentschlossene Menschen unnötig in Zweifel stürzt. In welchem Maße das der Fall war, ist schwer zu sagen. Fakt ist jedoch, dass – auch unsere – massive und fundierte Kritik an diesem leichtfüßigen Wandeln in der Welt der wissenschaftlichen Fakten wohl durchaus als Gegenposition wahrgenommen wurde. Nach wie vor kann man all dies hier auf dieser Webseite nachlesen.


ARTE TV, ein Sender, dessen Umgang mit wissenschaftlichen Themen seit jeher allzu oft von einer gewissen – sagen wir mal, Unbeschwertheit getragen war, kündigte uns einen Dokumentarfilm „Impfen – Die ganze Geschichte“ zur besten Sendezeit an. Nun, das weckt Interesse. Und gleich einige Zweifel. Nicht nur, weil es um ARTE geht. Auch, weil uns das Ankündigungsbild ins Auge fiel: eine Engelsgestalt mit einem heiligen Kelch (dem Gral?) in Händen und davor montiert ein pseudo-mittelalterlicher Schriftzug „SCIENCE“. Recht eindeutig: eine offenbar abfällig gemeinte Allegorie auf die vorgebliche alleinwissende und nur Segen bringende Wissenschaft. Kein guter Anfang.

Und in der Tat. Fast eineinhalb Stunden wird der geduldige Zuschauer mit einer Anhäufung von Narrativen malträtiert, die nirgendwo eine explizit impfgegnerische Haltung einnehmen, aber – genau wie Sievekings „Eingeimpft“ – insgesamt den Eindruck hinterlassen, das mit dem Impfen sei ja vielleicht ganz interessant, aber unter dem Strich doch eher eine zweifelhafte und deutlich zu hinterfragende Angelegenheit. Wenn es dabei wenigstens noch um wirkliche Probleme des Impfthemas ginge! Aber nein, mit rhetorischem Aufwand und gutem handwerklichem Geschick werden dort Narrative aufgewärmt, die teils längst geklärt, teils randständig bis exotisch sind und den Blick auf das Gesamtthema Impfen nicht eröffnen, sondern verstellen.

Sieveking 2.0?


Und so werden u.a. folgende Themen totgeritten:

  • Die Masern sind harmlos und diese ganzen flächendeckenden Impfprogramme dagegen sind übertrieben bis überflüssig.
  • Es wird beschworen, dass Impfstoffe einer viel größeren Sicherheit bedürfen als „normale“ Medikamente  – was zutrifft, da sie Gesunden verabreicht werden und sich deshalb die Nutzen-Risiko-Abschätzung anders darstellt als bei der Behandlung einer manifesten Krankheit. Das ist trivial, hier allerdings wird damit ziemlich unmissverständlich impliziert, dass dies nicht der Fall sei.
  • Offenbar haben sich die Autoren nur sehr oberflächlich mit dem Problem der Impfstoffentwicklung und der klinischen Prüfung von Medikamenten mittels randomisierter kontrollierter Studien befasst, denn sie bemängeln allen Ernstes, dass es bei der Impfstoffprüfung keine Placebokontrollen gebe. Erstens gibt es die durchaus und zweitens falls nicht, gibt es dafür gute Gründe.
  • Influenza wird verharmlost und das Risiko-Nutzen-Verhältnis einer Influenzaimpfung in Frage gestellt. Zur Influenza wird der Schluss gezogen, die Impfungen seien praktisch überflüssig, da keine Todesfälle durch sie vermieden würden. Was schlicht aus der absoluten Zahl der Todesfälle in den schwereren Influenza-Endemiejahren gefolgert wird. Ohne dass auch nur die Frage aufgeworfen wird, ob und wie viele Todesfälle durch die Impfung (bei der die jährlichen Durchimpfungsraten nicht berauschend sind) verhindert wurden und wie man das nachweisen kann. Und war die Vermeidung von Todesfällen überhaupt einziges / primäres Ziel der Influenza-Impfung? Wie man beim Robert-Koch-Institut nachlesen kann: durchaus nicht (Topic „Wie wird die Wirksamkeit der Influenza-Impfung gemessen?“).
    Mit Grundlagen der Epidemiologie und ihren Untersuchungs- und Prognosemethoden war offenbar niemand vertraut, sonst hätte es zu einer derart oberflächlichen Schlussfolgerung nicht kommen können. Dies kommt sehr nahe an die Betrachtung der „Hundertprozenter“ (wie Clemens Arvay) heran, die wir hier auf diesem Blog mit ihrer unsinnigen Forderung kennengelernt haben, alles, was nicht hundertprozentig wirksam und nicht hundertprozentig sicher sei, könne man eh gleich lassen.
  • Zu allem Überfluss greift der Film auch noch das Thema der Humanen Papillomviren und der HPV-Impfung auf, die immer wieder Gegenstand unhaltbarer und unverantwortlicher Interventionen waren. Auch Herr Gøtzsche, an sich ein renommierter Wissenschaftler, der aber vor einigen Jahren seinen damaligen Arbeitgeber Cochrane bei diesem Thema düpierte und daraufhin seinen Job dort verlor, darf auftauchen.
  • Nicht einmal das vielfach widerlegte Impfgegnernarrativ darf fehlen, dass die HPV-Impfung nicht vor Gebärmutterhalskrebs schütze, sondern ihn begünstige.
  • Und worauf der nicht geneigte Zuschauer schon beinahe gewartet hatte: die Sache mit dem so schädlichen Aluminium in Impfstoffen. Hier kommt man wiederum in die Nähe von Hardcore-Impfverschwörern wie Andrew Wakefield und der „Autismus-Lüge“. Kein Wort von den umfassenden Forschungsergebnissen, die diese Sache widerlegt haben. Aber letztlich nur konsequent für ARTE, haben sie doch seinerzeit mit dem Film „Die Akte Aluminium“ den Grundstein für die noch immer anhaltende Aluminium-Panik zumindest in den deutschsprachigen Ländern gelegt, indem sie dem Wissenschaftsjournalisten Bert Ehgartner samt seinem akademischen Sidekick Chris Exley eine Plattform für ihre kruden Thesen boten.
  • Da es ja auch „modern“ zugehen muss, kommt plötzlich das Mikrobiom ins Spiel, ein wichtiger Gegenstand medizinischer Forschung, keine Frage. Leider konnten wir das Geraune des Films dazu nicht recht nachvollziehen. Ein Zusammenhang einer Immunantwort mit dem Mikrobiom wird zwar als gesichert angesehen, dazu stehen aber gerade erst nähere Forschungen an – und hieraus ergibt sich in keiner Weise ein Grund dafür, auf Impfungen zu verzichten.
  • Untersuchungen, ob und inwieweit Impfungen für Allergien und Autoimmunerkrankungen verantwortlich sind, gibt es viele. Auf dieser Seite hier findet man dazu sehr detaillierte Infos im Rahmen der Besprechung von Martin Hirtes Buch „Impfen Pro und Contra“. Man kann dem Film leider nicht bescheinigen, hier den Stand der Wissenschaft korrekt wiederzugeben.
  • Als es schon langsam dem Ende zugeht, kommt dann auch noch das anthroposophische Grundnarrativ, dass sich staatlich organisierte „Massenimpfungen“ und die „individuelle Impfentscheidung“ sozusagen als unversöhnliche Dichotomien gegenüberstehen.

Mehr als bedauerlich, dass ARTE uns so ein unreflektiertes Hochglanzwerk zur besten Sendezeit offeriert. Wir mögen uns nicht wirklich damit abfinden, wie ARTE immer wieder mit wissenschaftsorientierten und wissenschaftsnahen Themen umgeht. Sollte dort auch die Ansicht herrschen, wie es einmal eine Redakteurin des Bayerischen Rundfunks äußerte, als sie mit den Unzulänglichkeiten des – vom BR mitfinanzierten – Sieveking-Films konfrontiert wurde: dass jedem, der sich als Experte äußere, die gleiche Legitimität dazu zuzugestehen sei? Man könnte den Eindruck haben, nicht nur angesichts der hier kritisierten Sendung.

Tatsächlich gibt es manche Parallele zu Sievekings Film (z.B. auch die Rolle des durchaus renommierten Forschers Peter Aaby, dessen Arbeit immer wieder im impfkritischen Sinne umgedeutet wird), nur noch einmal auf die Höhe einer reinen „Dokumentation“ gehoben.

Sehr schade, einmal mehr. Am Ende bleibt das Risiko erheblicher zusätzlicher Verunsicherung zum Impfthema statt der „ganzen Geschichte“, die vor allem eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte der Medizin ist. Wir konnten bereits wahrnehmen, dass der Beitrag in impfskeptischen Kreisen gefeiert wird. Das Schlimmste, was passieren kann.

Leicht zu finden in der ARTE-Mediathek, für alle, die sich das antun wollen. Auf einen direkten Link verzichten wir hier.


Autor: Udo Endruscheit

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