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„Impfen Pro & Contra:
Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung“ von Dr. Martin Hirte
Eine Analyse von Dr. Jan Oude-Aost

 

19. Teil – “Wahrscheinliche oder gesicherte Impffolgen – Teil III

 

Ab hier bespreche ich die Ausgabe 2018, die sich argumentativ nur in Details von der Ausgabe 2015 unterscheidet.

„Das Krankheitsbild der Makrophagischen Myofasziitis wurde erstmals 1998 beschrieben (Gherardi 1998 (1). Allein in Frankreich wurden Hunderte von Fällen bekannt im Zusammenhang mit der Hepatitis-B- und der Tetanusimpfung (Gherardi 2003 (2) ). Die Krankheit beginnt mit starken und anhaltenden Schmerzen an der Impfstelle. In den folgenden Monaten bis Jahren treten Muskelschwäche und diffuse Muskel- und Gelenkschmerzen auf. Eine Therapiemöglichkeit gibt es nicht.“ (Seite 103/2018)

Die Makrophagische Myofasziitis (MMF) wurde bereits im 12. Teil – III erwähnt. Sie ist als histologisches Phänomen (3) anerkannt, nicht jedoch als Erkrankung. Die Folgen, die Gherardi diesem histologischen Phänomen nachsagt, und seine Methoden, dies zu belegen, sind fragwürdig. Die Symptome, die die MMF nach Gherardi ausmachen, sind zum einen nicht gut definiert, was eine Untersuchung schwierig macht. Fälle werden beinahe ausschließlich von ihm und seinem Team entdeckt. Die Organisation für Impfsicherheit der WHO hat sich des Phänomens wiederholt angenommen und keinen Zusammenhang zwischen histologischem Befund und den Symptomen erkannt. Für die MMF in der Form, wie sie von Hirte und Gherardi postuliert wird, gibt es keine belastbaren Belege. Gherardi veröffentlicht häufig gemeinsam mit Exley, Shaw, Shoenfeld und anderen und bewegt sich damit in einem wissenschaftlich fragwürdigen Umfeld. Auch seine Forschung wird zum Teil vom CMSRI finanziert.

“Bei etwa jedem zehnten Betroffenen [Anm. JOA: von MMF nach Gherardi] kommt es im Verlauf auch zu neurologischen Symptomen. Die Patienten klagen über chronische Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Missempfindungen in den Gliedmaßen und Muskelschwäche bis hin zu einem Krankheitsbild, das der Multiplen Sklerose ähnelt. Viele entwickeln psychische Auffälligkeiten und Störungen von Gedächtnis und Aufmerksamkeit (Authier 2001 (4), Theeler 2008 (5), Couette 2009 (6) )”. (Seite 104/2018).

Authier arbeitet zusammen mit Gherardi, der an der Arbeit Authier 2001 ebenfalls beteiligt war. In der Arbeit wurden 92 Patienten eingeschlossen, die unter schweren neurologischen Symptomen litten. Die Tatsache, dass sie ebenfalls ein „Impf-Tattoo“ (s.o.) hatten, war ausreichend für die Autoren, um die Symptome kausal auf Impfungen zurückzuführen. Theeler 2008 ist ein Einzelfallbericht, der nicht in der Lage ist, einen kausalen Zusammenhang zwischen Impfungen und MMF zu belegen. Couette 2009 ist eine retrospektive Analyse von 22 “MMF-PatientInnen”, Gherardi und Authier waren an dieser Arbeit ebenfalls beteiligt. Auch diese Arbeit ist nicht geeignet, einen kausalen Zusammenhang zu belegen.

An dieser Stelle lohnt es sich, auf einen Widerspruch in Hirtes Behauptungen hinzuweisen. In seinen Ausführungen zu Aluminium kritisiert er die angeblich hohen Werte, denen Säuglinge ausgesetzt seien. Dabei ignoriert er die geringe Bioverfügbarkeit, die dafür sorgt, dass nur ein sehr geringer Teil der Aluminiumverbindungen ins Blut gelangt. Zur Definition der MMF gehört es aber, dass die Aluminumverbindung lange im Muskel verbleibt. Beides kann nicht gleichzeitig stimmen.

“Auch bei Kindern wurde Myofasziitis diagnostiziert. Begleitsymptome sind Muskelschwäche, Entwicklungsverzögerung und neurologische Störungen (Lacson 2002 7, DiMuzio 2004 (8) ).” (Seite 104/2018)

In Lacson 2002 werden zwei Kinder beschrieben, die mit diffusen Symptomen im Krankenhaus waren und denen Muskelbiopsie an der Impfstelle entnommen wurden. Wie nach einer Impfung mit aluminiumhydroxidhaltigen Impfstoffen regelhaft erwartbar, war dort dieser Stoff zu finden. Auch diese Studie ist nicht in der Lage, einen kausalen Zusammenhang festzustellen. Auch DiMuzio 2004 ist ein Fallbericht.

“(…) Bewiesen wird die Makrophagische Myofasziitis durch eine Muskelbiopsie von der Impfstelle: Pathologen finden hier nadelartige Strukturen aus Aluminiumhydroxid (Heppner 2009 (9) ).” (Seite 104/2018)

Heppner 2009 ist ein Leserbrief als Antwort auf einen Artikel im Ärzteblatt (Schneeweiß 2008 (10) ) zur Impfsicherheit. Die AutorInnen hatten sich in dem Artikel verschiedene von „Impfskeptikern“ vorgebrachte Hypothesen zu Nebenwirkungen und die wissenschaftliche Erkenntnislage dazu angesehen. Sie kamen zu folgendem Ergebnis: „Die Prüfung der Daten zeigt, dass die vorgebrachten Zweifel an der Sicherheit von Impfstoffen unbegründet sind.“ Sie erwähnten jedoch nicht die MMF. Heppner 2009 weist darauf hin, dass es das histologische Phänomen gibt und fordert, zu überprüfen, ob es einen Zusammenhang mit dem postulierten Krankheitsbild gibt.

“Wer in den Monaten und Jahren nach einer Impfung und einer starken lokalen Impfreaktion die beschriebenen Einbußen im körperlichen Wohlbefinden feststellt, sollte (…) Meldung an das Paul-Ehrlich-Institut machen. Außerdem sollte er sich – mit einschlägiger Literatur ausgerüstet (zum Beispiel Heppner 2009, Tomljenovic 2011 (11)) – an einen neurologischen Facharzt wenden.” (104/2018)

Dieses Vorgehen wird beinahe garantiert zur Diagnose MMF (nach Gherardi) führen. Da sich, wie bereits erwähnt, bei jeder mit diesem Adjuvanz geimpften Person die typische histologische Veränderung finden lässt, werden auch Menschen mit diesen unspezifischen Symptomen diese Veränderungen aufweisen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen beidem und damit ein Krankheitswert der Einlagerung im Muskel ist jedoch zum aktuellen Zeitpunkt äußerst fraglich und wird von der WHO nicht angenommen.

Tomljenovic 2011 ist ein schönes Beispiel für eine wissenschaftliche Filterblase. Es handelt sich um einen Übersichtsartikel, der Informationen zusammenträgt. In der Einleitung verweisen die AutorInnen auf ein Paper von Paul Offit (Offit 2003), in dem Sorgen von Eltern zu Impfungen adressiert und widerlegt werden (ähnliche wie Schneeweiß 2008). Daraus zitieren die AutorInnen jedoch nur die historischen Informationen zu Aluminumverbindungen. Dass es noch unbeantwortete Fragen zur genauen Wirkung von Aluminumverbindungen im Körper gibt, nehmen sie als Beleg dafür, dass die Aussage, Aluminumverbindungen in Impfstoffen seien „effektiv und sicher“ nicht stimmen kann. Die angeführten Belege stammen allerdings in großer Zahl von Autoren, die auch in diesem Text erwähnt werden (z. B. Exley (8x), Gherardi (6x), Shoenfeld (2x), Shaw (2x), Israeli, Tomljenovic, Jefferson, Bishop, Verstraeten, Flarend, Elenkov). Natürlich gibt es Forschungsfelder, die sehr klein sind und wo sich aus diesem Grund Filterblasen nicht vermeiden lassen. Die Forschung zu Aluminum und Impfstoffen gehört sicher nicht dazu. Darüber hinaus haben viele der Autoren finanzielle Interessenkonflikte (Tomljenovic 2011 wurde z. B. von impfkritischen Stiftungen finanziert), arbeiten teilweise außerhalb ihrer Expertise mit wissenschaftlich fragwürdigen Methoden und werden von anderen Fachleuten ihres Feldes dafür kritisiert. In der Zusammenschau lässt mich das sehr an den Aussagen zweifeln.

“Ein weiterer Entstehungsmechanismus für neurologische Impfschäden wird auf der Ebene der DNA vermutet. Toxische Stoffe wie der Impfzusatzstoff Aluminium können schon in geringen Konzentrationen Nervenwachstumsfaktoren (IGF-1) blockieren und damit das Wachstum, die Spezialisierung und Verschaltung von Nervenzellen stören (Waly 2004 (12) ).” (Seite 112/2018)

Waly 2004 ist bereits im 14. Teil besprochen worden, die Studie hat deutliche Schwächen und ist darum nicht in der Lage, Hirtes Argumentation zu stützen.

“Guillain-Barré-Syndrom: (…) Beim Paul-Ehrlich-Institut gingen zwischen 2001 und 2017  507 Meldungen ein, darunter 71 bei Kindern und Jugendlichen.” (Seite 112/2018)

Dabei handelt es sich um Verdachtsfälle. Wichtig sind die Fälle, die sich bestätigen lassen. In der aktuellen Leitlinie (13) der deutschen Gesellschaft für Neuropädiatrie zum Guillain -Barré-Syndrom zum Zusammenhang zwischen Impfungen und GBS angemerkt, dass ein solcher aufgrund der vorliegenden Daten unwahrscheinlich erscheint (14). Interessant ist auch ein Absatz aus dem Vorgehen beim Auftreten des GBS in zeitlicher Nähe zu Impfungen. Dort wird unter anderem darauf hingewiesen, dass in den Packungsbeilagen von Impfungen die Nebenwirkung GBS aufgeführt wird, obwohl der kausale Zusammenhang bisher nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte (15).

“Multiple Sklerose(…). Impfungen können bei Personen mit genetischer Vorbelastung einen Schub auslösen. Eine in Großbritannien durchgeführte Untersuchung ergab ein dreifach erhöhtes Risiko für Multiple Sklerose nach der Hepatitis-B-Impfung (Hernan 2004 (16) ).” (Seite 112/2018)

Es gibt mehrere systematische Übersichtsarbeiten, in denen, neben anderen Studien, auch Hernan 2004 besprochen wurde: Farez 2011 fand keinen Zusammenhang (17), Mailand 2017 fand keinen Zusammenhang (18), Örtqvist 2010 fand, dass es wahrscheinlich kein Zusammenhang bei Kindern gibt (19).

“Akute demyelinisierende Enzephalomyelitis (ADEM): (…) Die Häufigkeit des voll ausgeprägten Krankheitsbilds wird auf 1:100.000 Impfungen geschätzt (Fenichel 1982 (20) ). Zwischen 2001 und 2017 gab es 263 Meldungen an das Paul-Ehrlich-Institut, davon 124 bei Kindern und Jugendlichen.” (Seite 113/2018)

Fenichel 1982 bezieht sich auf Ganzzellimpfstoffe, also Impfstoffe, in denen nicht einzelne Antigene geimpft werden, sondern ganze inaktivierte Erreger. Erwähnt werden Pertussis, was heute in Deutschland nicht mehr als Ganzzellimpfstoff geimpft wird und Influenza (21). Es kommt aber genau darauf an, ob es sich um einen Ganzzellimpfstoff handelt. Fenichel spricht von „nicht mehr als 1:100.000“ Fällen und betont, dass die Erkrankung vier Tage nach der Impfung auftritt und in der Regel komplett ausheilt (22). Er schreibt auch, dass das Guillain-Barre-Syndrom als Impfnebenwirkung nur nach der „Schweinegrippe“-Impfung von 1976 auftrat. Hirte behauptet, es gebe Belege für Schäden peripherer Nerven und Transverse Myelitis. In Fenichel 1982 wird jedoch darauf hingewiesen, dass ein kausaler Zusammenhang nie belegt werden konnte (23).

“Autismus: (…) Seit Beginn der Neunzigerjahre wird in vielen Ländern der Welt eine dramatische Zunahme registriert. Forscher in den USA fanden einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Durchimpfungsraten und Autismushäufigkeit und haben unter anderem Aluminiumzusatzstoffe in Verdacht: »Die verstärkte Belastung mit Aluminium durch Impfstoffe könnte mit dem Häufigkeitsanstieg neurologischer Störungen wie Autismus in Zusammenhang stehen, insbesondere wenn ein aluminiumhaltiger Impfstoff zusammen mit einem Masernimpfstoff verabreicht wird« (Delong 2011).” (Seite 113/2018)

Delong 2011 wurde im 12. Teil bereits besprochen. Die Zunahme an Diagnosen von Autismusspektrumstörung (ASS) entspricht sehr wahrscheinlich nicht der Zunahme der Erkrankungsfälle, sondern einer erhöhten Aufmerksamkeit für die Erkrankung und veränderten Diagnosekriterien (24). Den Mythos, Autismus habe mit Impfungen zu tun, weiter zu verbreiten, halte ich für unverantwortlich.

“Ursachen fataler Impfreaktionen sind allergischer Schock, Atemstillstand oder schwer verlaufende neurologische Komplikationen wie Krampfanfälle, Guillain-Barré-Syndrom und Enzephalitis (Miller 2015 (25) ). Todesfälle werden auch gemeldet durch Invaginationen nach der Rotavirusimpfung oder durch fulminant verlaufende Infektionen mit Masern- oder Windpocken-Impfviren bei Kindern mit bis dahin unerkannten Krankheiten des Immunsystems. Immundefekte werden oft nicht vor dem empfohlenen Impfalter aufgedeckt (Joshi 2009 (26) ).” (Seite 114/2018)

Ich nenne zwei Beispiele aus Miller 2015 um deutlich zu machen, um welche Größenordnungen es geht und wie Hirte das Paper falsch wiedergibt. Von mehr als 7.500.000 Impfungen hatten 5 Kinder einen möglicherweise auf die Impfung zurückzuführenden allergischen Schock. Keines davon starb (27). Für die Rotavirus- Impfung zitieren sie folgende Rechnung: Unter hypothetisch 4.3 Millionen Geburten (in den USA) kann die aktuelle Rotavirusimpfung 14 Todesfälle, mehr als 53.000 stationäre Behandlungen und über 169.000 Besuche in einer Notaufnahme verhindern. Im Vergleich kommt es durch die Impfung in derselben Gruppe zu 0,2 Todesfällen, 45 stationären Behandlungen und 13 kurzen Besuchen im Krankenhaus (28). Für das GBS bestätigen die AutorInnen die Aussage der o. g. Leitlinie. Joshi 2009 trifft neben der Aussage zum Zeitpunkt der Diagnosen auch eine zu Impfungen bei Menschen mit Immundefekten: Sie sind bei dieser Gruppe besonders wichtig (29).

“Zwischen Oktober 2000 und Juni 2003 wurden in Deutschland und Österreich 16 Todesfälle im Zusammenhang mit Sechsfachimpfstoffen (Hexavac oder Infanrix Hexa) gemeldet (Keller-Stanislawski 2003 (30) ). Fünf dieser tragischen Ereignisse waren innerhalb von 24 Stunden nach der Impfung aufgetreten. Drei der Kinder waren nach der vierten Sechsfachimpfung im zweiten Lebensjahr verstorben, was einen plötzlichen Kindstod unwahrscheinlich macht.” (Seite 115/2018)

Wichtig ist bei der Bewertung dieser Aussage, dass es sich bei den Meldungen an das PEI um Verdachtsfälle handelt und darum der “Zusammenhang” nur durch eine Meldung nicht kausal belegt wird. Es gibt, leider, noch andere Gründe, warum Kinder sterben können. Auch Kinder, die schwere Erkrankungen haben, erhalten, wenn möglich, Impfungen. Das PEI geht den Verdachtsfällen soweit wie möglich nach und versucht herauszufinden, ob ein kausaler Zusammenhang wahrscheinlich ist. Die von Hirte vorgebrachte Kritik wurde unter anderem in einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen beantwortet (40).

“Im Jahr 2005 veröffentlichte eine Gruppe Münchner Gerichtsmediziner einen Bericht über Autopsien von sechs der betroffenen Kinder. Sie wiesen Befunde auf, die gegen einen »normalen« plötzlichen Kindstod sprachen. Die Autoren vermuteten eine überschießende Immunreaktion auf den Impfstoff und hielten eine hohe Dunkelziffer von ähnlichen Ereignissen für möglich (Zinka 2006 (32) ). Deutsche Impfexperten und STIKO-Mitglieder versuchten mit massivem Druck, die Veröffentlichung in der Zeitschrift Vaccine zu verhindern, und geizten auch nicht mit unkollegialen Angriffen gegen die Autoren.” (Seite 115/2018)

Es handelt sich bei dem Bericht um einen „Letter to the Editor“, der kein Peer-Review (Überprüfung einer wissenschaftlichen Arbeit durch unbeteiligte FachkollegInnen) erfordert. Der Dachverband der Pädiatrischen Gesellschaften veröffentlichte eine Stellungnahme zu diesem “Letter” und wies auf die methodischen Mängel der Autoren hin, die eine kausale Aussage unmöglich machen (u.a. sei unklar, mit welchen Methoden sie zu dem Befund eines „Hirnödems“ kamen, die Methode, die eine „überschießende Immunreaktion“ belegen sollte, war wissenschaftlich nicht validiert, Begriffe wurden nicht richtig verwendet und mehr) (33). Reaktionen auf wissenschaftliche Veröffentlichungen sind normal und erwünscht und gehören zum Wesen von Wissenschaft.

“Jedes Jahr werden dem Paul-Ehrlich-Institut durchschnittlich sechs Todesfälle nach der Verabreichung von Sechsfachimpfstoffen gemeldet. In den Risikoberichten, die die Hersteller bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur einreichten, findet sich eine auffallende Häufung von Todesfällen in den vier Tagen nach der Impfung (Puliyel 2017 (34) ).” (Seite 115/2018)

Puliyel 2017 beruht nicht auf Daten aus einer Studie, sondern aus internen Daten die Glaxo Smith Kline (GSK) im Rahmen eines Gerichtsprozesses veröffentlichten musste. Dabei handelte es sich um Daten, die GSK erhebt, um die Sicherheit ihrer Impfstoffe zu überwachen. Da im Gesundheitssystem Daten nicht zentral und systematisch erfasst werden, sind sie für wissenschaftliche Forschung, die kausale Zusammenhänge untersucht, nicht geeignet. Weiterhin muss man das menschliche Phänomen einbeziehen, nur die Dinge zu berichten, die uns wichtig erscheinen. Und je geringer der Abstand zwischen zwei Ereignissen ist, desto eher sehen wir einen Zusammenhang, man nennt das “Reporting Bias”. Das erklärt gut die in der Studie sichtbare Häufung. In Arbeiten, die das Phänomen systematisch untersuchen, ist diese Häufung NICHT zu finden. Insofern ist die Tatsache, dass die Anzahl der berichteten Fälle unter der Anzahl liegt, die statistisch in dieser Zeit zu erwarten gewesen wäre, beinahe zu vernachlässigen. Jacob Puliyel, der Autor der Quelle, ist ausgesprochener Impfgegner sowie der Meinung, Polio könne nicht ausgerottet werden und er kritisiert das Impfprogramm der WHO ganz grundsätzlich.

“Die TOKEN-Studie, (…) (Ehgartner 2011).” (Seite 116/2018)

Die Studie und Ehgartners Kommentar wurden bereits besprochen im 10. Kapitel, siehe dort.

“Amerikanische Forscher setzten die Kindersterblichkeit in 34 entwickelten Ländern in Beziehung zur Anzahl der dort in der Kindheit verabreichten Impfdosen und fanden eine statistisch signifikante Beziehung (Miller 2011 (35) ). Die Autoren schreiben:

»Von den 23 Nationen, die die sozioökonomische Schwelle überschritten haben, um die Grundbedürfnisse für das Überleben von Kindern erfüllen zu können – sauberes Wasser, Ernährung, Hygiene und Gesundheitsversorgung –, verlangen einige für ihre Kinder eine relativ hohe Zahl an Impfdosen und haben eine relativ hohe Kindersterblichkeit. Diese Nationen sollten ihre Tabellen zur Kindersterblichkeit genauer überprüfen, um zu ermitteln, ob nicht manche Todesfälle möglicherweise impfbedingt sind, aber anders klassifiziert wurden … Alle Nationen – ob reich oder arm, Industrie- oder Entwicklungsland – haben die Pflicht zu überprüfen, ob ihre Impfpläne die gewünschten Ziele erreichen.«” (Seite 116/2018)

Miller 2011 hat einige methodische Mängel, die die Interpretation der Autoren sehr zweifelhaft erscheinen lassen. Bevor ich dazu komme, hier einige Informationen zum Kontext, dem die Studie entstammt. Unterstützt wurden die Autoren Miller und Goldman durch eine Spende eines impfkritischen Vereins sowie die Spende (PDF) von Michael Belkin, einem Musiker, der das Lied “Impf-Gestapo” (“Vaccine Gestapo”) schrieb (39). Miller ist seit Jahren als Impfgegner aktiv und Goldman steht einer Zeitschrift vor, die u. a. Verschwörungsmythen zum HI-Virus verbreitet (36) („AIDS-Leugner“) und behauptet, Kinder denen ein „Schütteltrauma“ (schwere Form der Kindesmisshandlung) zugefügt worden sei, hätten eigentlich einen Impfschaden (37). Beide Autoren haben keinen Bezug zu irgendeiner Universität.

Im Paper nehmen sie die Daten zur Kindersterblichkeit des Jahres 2009 (und nur aus 2009) aus dem CIA-Factbook und vergleichen diese mit der Anzahl der Impfungen, die Kindern laut nationaler Empfehlung im ersten Jahr verabreicht werden. Teilt man die Länder in 5 Gruppen ein (12-14 (Impf-)Dosen, 15-17, 18-20, 21-23, 24-26), erhält man eine lineare Korrelation: Je mehr Impfungen, desto höher die Kindersterblichkeit. Bewertet man die einzelnen Länder, wäre die Korrelation deutlich schwächer gewesen. Etwas aufmerken lässt die Tatsache, dass in der Studie nur Daten aus einer Quelle und aus einem Jahr verwendet wurden. Das wirkt bewusst selektiv. Weiterhin fällt auf, dass vier Länder (Andorra, Lichtenstein, Monaco, San Marino) gar nicht in die Bewertung aufgenommen wurden (diese hätten die Ergebnisse weniger passend werden lassen). Sie haben methodisch-statistisch die Tatsache nicht korrigiert, dass Kindersterblichkeit in den Ländern unterschiedlich erfasst wird, so dass die Rohdaten gar nicht vergleichbar sind. In den USA wird jedes Kind, das Lebenszeichen zeigt, egal in welcher Schwangerschaftswoche es geboren wird, als Lebendgeburt gezählt, die dann sterben kann. In Deutschland, werden Kinder unter 500g nicht als Lebendgeburten erfasst, können somit auch nicht im statistischen Sinne „sterben“ Sie erscheinen in keiner Sterbestatistik. Dann haben die Autoren die Anzahl der Injektionen als Maßstab genommen, nicht die Anzahl der Antigene. Letztes hätte die Tabelle ziemlich anders aussehen lassen. Die Autoren haben darüber hinaus inhaltliche Fehler gemacht, zum Beispiel indem sie die Empfehlungen für Deutschland falsch wiedergegeben haben. Aus dem Paper kann keine wissenschaftlich verwertbare Aussage gezogen werden. Als Quelle ist es ungeeignet.

Wenn es Todesfälle gibt, die kausal mit Impfungen zusammenhängen, handelt es sich um sehr sehr seltene Ereignisse. Die von Hirte angeführten Belege sind oft methodisch schwach oder fragwürdig und können keinen Zusammenhang über das hinaus belegen, was durch die Behörden anerkannt wurde. Dabei neigen die Behörden (nicht unbedingt die Hersteller) eher zu einer Überschätzung des Zusammenhangs, um auf Nummer sicher zu gehen.

Nachdem Hirte mit fragwürdigen Quellen für Verunsicherung gesorgt hat, schließt er das Kapitel wie folgt:

“Apropos plötzlicher Kindstod: Sicher sollten Babys in den ersten sechs Monaten nicht auf dem Bauch schlafen und vielleicht auch nicht geimpft werden – viel wesentlicher für die Prävention aber ist die Ernährung mit Muttermilch und das Vermeiden des Passivrauchens.” (Seite 116/2018)

Bedauerlicherweise fehlt ein Hinweis auf die „Sichere Schlafumgebung“ mit Regeln, die zahllose Kinder vor dem SIDS bewahrt haben. Die wissenschaftliche Evidenz spricht am ehesten für keinen Zusammenhang zwischen Impfungen und SIDS oder eventuell sogar einen (kleinen) Effekt von Impfungen, SIDS zu verhindern (38). Dieser Absatz in Hirtes Buch ist fahrlässig.


 

  1. Macrophagic myofasciitis: an emerging entity.; Gherardi, R. K., Coquet, M., Chérin, P., Authierf. J., et al.; Lancet 1998, 352: 347–352
  2. Lessons from macrophagic myofasciitis: towards definition of a vaccine adjuvant-related syndrome.; Gherardi, R. K.: ; Rev Neurol 2003, 159 (2): 162ff.
  3. In der Histologie werden sehr dünne Gewebeschnitte mit verschiedenen Substanzen eingefärbt und so Veränderungen in Zellen beurteilt.
  4. Central nervous system disease in patients with macrophagic myofasciitis.; Authier, F. J., Cherin, P., Creange, A., Bonnotte, B.; Brain 2001, 124: 974–983
  5. Polyglandular autoimmunity with macrophagic myofasciitis.; Theeler, B. J., Simper, N. B., Ney, J. P.; Clin Rheumatol 2008, 27 (5): 667–669
  6. Long-term persistence of vaccine-derived aluminum hydroxide is associated with chronic cognitive dysfunction.; Couette, M., Boisse, M.F., Maison, P., Brugieres, P., et al.; J Inorg Biochem 2009, 103 (11): 1571–1578
  7. Aluminum phagocytosis in quadriceps muscle following vaccination in children: relationship to macrophagic myofasciitis.; Lacson, A. G., D’Cruz, C. A., Gilbert-Barness, E., Sharer, L., Jacinto, S., Cuenca, R.; Pediatr Dev Pathol 2002, 5 (2): 151–158
  8. Macrophagic myofasciitis: an infantile Italian case.; DiMuzio, A., Capasso, M., Verrotti, A., Trotta, D., Lupo, S., et al.; Neuromuscul Disord 2004, 14 (2): 175ff.
  9. Impfsicherheit heute: Makrophagen-Myofasziitis.; Heppner, F. L., Goebel, H., Rieke, H. E.: Dtsch Arztebl Int 2009, 106 (14): 248
  10. Impfsicherheit heute; Schneeweiß, Burkhard; Pfleiderer, Michael; Keller-Stanislawski, Brigitte;
    Dtsch Arztebl 2008; 105(34-35): 590-5; DOI: 10.3238/arztebl.2008.0590
  11. Aluminum Vaccine Adjuvants: Are they Safe?; Tomljenovic, L., Shaw, C. A.; Current Medicinal Chemistry 2011, 18: 2630–2637
  12. Activation of methionine synthase by insulin-like growth factor-1 and dopamine: a target for neurodevelopmental toxins and thiomersal.; Waly, M., Olteanu, H., Banerjee, R., Choi, S. W., et al.:Molecul Psychiatr 2004, 9: 358–370
  13. Diagnose und Therapie des Guillain-Barré Syndroms im Kindes- und Jugendalter (ICD-10: G61.0); S3 Leitlinie der Gesellschaft für Neuropädiatrie; Langfassung Aktualisierung Nr. 4, Version 1.2, 20. März 2019
  14. Von besonderer Relevanz ist die Frage eines Zusammenhangs zwischen dem Auftreten eines GBS und Impfungen bei Kindern wie bei Erwachsenen. Bei den meisten Vakzinen ist die Möglichkeit des Auftretens eines GBS innerhalb von 6 Wochen in der Fachinformation erwähnt. Bei den zugrunde liegenden Daten handelt es sich aber fast ausschließlich um Kasuistiken und kleine Gruppen von Patienten, bei denen alternative Ursachen für das GBS ausgeschlossen erschienen. Die vorliegenden, adäquat durchgeführten und umfangreichen Fall-Kontroll-Studien konnten für die meisten Impfstoffe kausale Zusammenhänge sehr unwahrscheinlich machen. Die einzige Ausnahme bildet ein Schweine-Influenza-Impfstoff, der in der Impf-Kampagne 1976-77 in den USA zu einem signifikanten Anstieg an GBS-Fällen führte. In späteren Impfkampagnen wiederholte sich dies nicht, auch nicht nach den Impfungen in der aktuellen Schweine-Influenza Pandemie 2009-10 (Haber et al. 2009; Andrews et al. 2011). Weiterhin traten nach einem alten Tollwut- Impfstoff, der auf Säugetier-Hirngewebe gezüchtet worden war, gehäuft GBS-Fälle auf. Dies wiederholte sich mit den modernen Rabies-Impfstoffen jedoch nicht (Haber et al. 2009).
  15. Die Ergebnisse aus der mikrobiologischen und serologischen Diagnostik können aber erhebliche sozial-, versorgungs- und ggfs. haftungsrechtliche Konsequenzen haben, da für viele Impfstoffe in der Packungsbeilage (ohne wissenschaftlichen Nachweis) die Möglichkeit eines GBS als Impfkomplikation angegeben wird, und das deutsche Infektionsschutzgesetz für die Versorgung von Impfschäden relative Beweiserleichterungen („einfache Wahrscheinlichkeit“) vorsieht (§61).
  16. Recombinant hepatitis B vaccine and the risk of multiple sclerosis: A prospective study.; Hernan, M. A., Jick, S. S., Olek, M. J., Jick, H.; Neurology 2004, 63 (5): 838–842
  17. Immunizations and risk of multiple sclerosis: systematic review and meta-analysis; Mauricio F. Farez, Jorge Correale; Journal of Neurology July 2011, Volume 258, Issue 7, pp 1197–1206
  18. Vaccines and multiple sclerosis: a systematic review; Mia Topsøe Mailand, Jette Lautrup Frederiksen; Journal of Neurology June 2017, Volume 264, Issue 6, pp 1035–1050 |  
  19. Vaccination of children – a systematic review;
    Å Örtqvist1 (ake.ortqvist@sll.se), M Blennow; Acta Pædiatrica ISSN 0803–5253
  20. Neurological complications of immunization.; Fenichel, G. M.; Ann Neurol 1982, 12: 119–128
  21. Vaccines prepared from whole, killed organisms (pertussis and possible influenza) may cause neurological allergic reactions producing encephalopathy. These reactions are characterized by acute, monophasic demyelinative processes and occur with no greater frequency than 1 per 100,000 vaccine recipients; onset is within 4 days of immunization, and recovery is usually complete. No evidence suggests that these vaccines produce an insidious, progressive encephalopathy. Only with the swine influenza program of 1976 has Guillain‐Barré syndrome appeared to follow immunization.
  22. These reactions are characterized by acute, monophasic demyelinative processes and occur with no greater frequency than 1 per 100,000 vaccine recipients; onset is within 4 days of immunization, and recovery is usually complete.
  23. Vaccines prepared from live‐attenuated viruses (measles, mumps, rubella, and trivalent oral poliovirus) can cause symptomatic viral infection of the nervous system, including measles encephalitis, which occurs in 1 of 1,000,000 vaccine recipients; rubella neuritis, in less than 1 of 10,000 recipients; and paralytic poliomyelitis, in 1 of 3,000,000 vaccine recipients or their close contacts. A cause‐and‐effect relationship between immunization and brachial plexus neuritis, acute transverse myelitis, and cranial neuropathies has been suggested by never proved.
  24. Autistische Störungen – State-of-the-Art und neuere Entwicklungen
    Epidemiologie, Ätiologie, Diagnostik und Therapie; Christine M. Freitag; Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 40 (3), 2012, 139–149;  
  25. Deaths following vaccination: What does the evidence show?; Miller, E. R., Moro, P. L., Cano, M., Shimabukuro, T. T.; Vaccine 2015, 26; 33 (29): 3288–3292
  26. Incidence and temporal trends of primary immunodeficiency: a population-based cohort study.; Joshi, A. Y., Iyer, V. N., Hagan, J. B.; Mayo Clin Proc 2009, 84 (1): 16–22
  27. Another study published in 2003 using electronic health record databases found that after 7,644,049 doses of vaccination in children and adolescents, there were five possible cases of vaccine associated anaphylaxis and none resulted in death
  28. One study estimated that among a hypothetical 4.3 million US birth cohort followed to age 5 years, currently licensed rotavirus vaccines prevent 14 deaths, more than 53,000 hospitalizations and more than 169,000 emergency room visits; by comparison the vaccines are estimated to result in an excess of 0.2 deaths, 45 hospitalizations, and 13 short stay visits from vaccine associated intussusception
  29. The incidence and severity of infections such as pneumonia and influenza are higher in persons with PIDs because of their compromised immunity. For that reason, the Advisory Committee on Immunization Practices recommends age-appropriate pneumococcal vaccination18 and a yearly influenza vaccination19 for patients with PIDs. We sought to determine the adherence to these recommendations in our population.
  30. Todesfälle in zeitlichem Zusammenhang mit Sechsfachimpfung.; Keller-Stanislawski, B., Löwer, J.; Kinder- und Jugendarzt 2003, 8: 608–613
  31. Unklare Todesfälle im Zusammenhang mit 6fach-Kombinationsimpfstoffen.; Stück, B.; Consilium infectiorum 2003, 48: 4580
  32. Unexplained cases of sudden infant death shortly after hexavalent vaccination.; Zinka, B., Rauch, E., Buettner, A., Rueff,f., Penning, R.; Vaccine 2006, 24 (31–32): 5779f.
  33. „Unerklärte Fälle von plötzlichem Kindstod kurz nach hexavalenter Impfung“ (Zinka et al, Vaccine, 09.03.2005): Zusammenfassung des Originalartikels und Stellungnahme; Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen
    Mitglieder: Bartmann P, Heininger U (Vorsitzender), Huppertz HI, Klein R, Kinet M, Korenke G Ch
  34. Infanrix hexa and sudden death: a review of the periodic safety update reports submitted to the European Medicines Agency.; Puliyel, J.; Indian Journal of Medical Ethics, 5.9.2017
  35. Infant mortality rates regressed against number of vaccine doses routinely given: is there a biochemical or synergistic toxicity?; Miller, N. Z., Goldman, G. S.; Hum Exp Toxicol 2011, 30 (9): 1420–1428
  36. Hypothesis Examining the causes of AIDS; Mohammed Ali Al-Bayati, PhD, DABT, DABVT; Medical Veritas 2009
  37. Vaccine Overview, Part II:
    Inadequate safeguards, complications from the MMR vaccine, brain hemorrhages attributed to Shaken Baby Syndrome, and are vaccines contributing to genetic change? Harold E Buttram, MD, Medical Veritas 2009
  38. Recommendations for sudden infant death syndrome prevention: a discussion document; E A Mitchell; Arch Dis Child. 2007 Feb; 92(2): 155–159.
  39. These are the lyrics from verse 2 of Vaccine Gestapo: They’re a medical military priesthood/ Just like Adolf – they preach the greater good/ Conscientious objectors are just little snots/ Why don’t you quit complaining and go get your shots/ Vaccine Gestapo Vaccine Gestapo Vaccine Gestapo Vaccine Gestapo/ Can we see your papers — have you had all your shots?/ Your papers please — your papers please — have you had all your shots?
  40. Deutscher Bundestag Drucksache 16/3739 16. Wahlperiode; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/3433 – 05. 12. 2006; Transparenz von Impfkomplikationen und Verbesserung der Impfstoffsicherheit
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